Der Bundesgerichtshof hat in einer am 01.08.2022 veröffentlichten Entscheidung geurteilt, dass zur Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit im Sinne des § 17 Abs. 2 S. 1 InsO nicht unbedingt eine Liquiditätsbilanz aufgestellt werden muss, sondern diese auch mit anderen Mitteln dargelegt werden kann (BGH, Urt. v. 28.06.2022 – II ZR 112/21). In der Rn. 14 des Urteils heißt es: „Es ist unerheblich, dass sich der Kläger zur Darlegung der Zahlungsunfähigkeit nicht auf eine Liquiditätsbilanz bezieht und deshalb Liquiditätslücke und Liquiditätsdeckungsgrad nicht unter Berücksichtigung des Verhältnisses der Summe von Aktiva I und Aktiva II zur Summe von Passiva I und Passiva II errechnet …“

Ausreichend ist nach dem Senat die Aufstellung mehrerer tagesgenauer Liquiditätsstatus in aussagekräftiger Anzahl. Danach besteht Zahlungsunfähigkeit, wenn „ausgehend von dem am Stichtag eine erhebliche Unterdeckung ausweisenden Status an keinem der im Prognosezeitraum liegenden bilanzierten Tag die Liquiditätslücke in relevanter Weise geschlossen werden kann“ (vgl. BGH, aaO, Rn. 14). Damit wird die Stichtagsbetrachtung durch einen Vergleich der liquiden Mittel zu den fälligen Verbindlichkeiten, mithin das Verhältnis von Aktiva I zu Passiva I, für zulässig erachtet.

Damit weicht der II. Zivilsenat von der bislang gängigen Rechtsprechung ab, die nach Feststellung einer Unterdeckung in einem zweiten Schritt eine Zeitraumbetrachtung durch die jeweilige Hinzurechnung von Aktiva II und Passiva II zu den zuvor ermittelten Werten von Aktiva I und Passiva I erfordert und durch das errechnete prozentuale Verhältnis die Zahlungs(un-)fähigkeit bestimmt.

Offen bleibt jedoch, welche Anzahl der Tagesstatus die aussagekräftige Anzahl erfüllt. Hier dürften mindestens drei aufeinanderfolgende Stichtage erforderlich sein, wie auch der VID-Ausschuss „Betriebswirtschaft“ in seinen kürzlich veröffentlichten Empfehlungen zur Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit vorschlägt (vgl. https://www.vid.de/vid-empfehlungen-zum-insolvenzrecht-ermittlung-der-zahlungsunfaehigkeit/). Zudem definiert der BGH den Prognosezeitraum nicht explizit. Hier wäre eine Änderung von dem nicht zur unternehmerischen Buchhaltung passenden 3-Wochen-Zeitraum in Zukunft überlegens- und wünschenswert.

Die Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit wird mit der neuen Rechtsprechung damit sowohl für Geschäftsleiter als auch für Berater und Verwalter erleichtert, z. B. Verkürzung von Rechtsstreiten infolge der einfacheren Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit. Die erfolgte Akzentuierung durch den BGH hilft damit den Rechtsanwendern.

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